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DIGITAL- UND MEDIENMANAGEMENT

Herzlich Willkommen im Kampnagel-Kosmos

von BETTINA SCHARY am 22.12.2015

Prolog

Mit quietschendem Filzstift kritzelt Joe die letzten Worte auf das Whiteboard. Dann tritt er einen Schritt zurück und zupft sich nachdenklich am Bart. Einen Moment lang betrachten wir schweigend das Ergebnis.

Die Tafel ist überzogen mit Kreisen, Linien und Pfeilen. Dazwischen schwirren merkwürdige Begriffe: Postcolonialism. Transculturalism. Schuhplattler.
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Es sieht aus wie das absolute Chaos.

Genau das, was wir wollten.


Erster Akt: Exposition


Unser Auftraggeber ist kein klassisches Medienunternehmen, sondern die Kunst- und Kulturstätte Kampnagel. Von Anfang an wird deutlich, dass dies alles andere als ein Projekt nach Medienmanagement-Lehrbuch sein wird:
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Kick-off-Gespräch bei Kampnagel

Zum Kick-off-Gespräch versammelt sich nahezu die gesamte Dramaturgie sowie Intendantin Amelie Deuflhard, Pressesprecherin Mareike Holfeld und unsere direkte Ansprechpartnerin, Julia Kulla aus dem Marketing.

An dem runden Tisch sind wir gleich beim Du.

Der Auftrag an die Studenten der Hamburg Media School ist bereits tief in den Köpfen der Kreativen verankert: eine Website-Anbindung zur Darstellung ihres gesamten künstlerischen Materials.


Wenn Kampnagel in Kooperation mit externen, oftmals internationalen Regisseuren und Ensembles neue Stücke entwirft, geht der Bühnen- und Probenarbeit eine Phase wilder Assoziationen und Ideenfindung voraus. Am Ende steht eine neue Produktion – jedoch lediglich ein Destillat dessen, was zuvor in diesen künstlerischen Prozessen verarbeitet wurde. Kampnagel verfügt über ein riesiges Archiv an Unterlagen: Das kann alles sein, was jemals zur Inspiration gedient und zur Formung einer neuen Produktion beigetragen hat. All das blieb dem Publikum von Kampnagel bisher verborgen. Und auch die Dramaturgen selbst haben Mühe, ihren reichen Ideenschatz zu überblicken.
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Deswegen soll eine Online-Plattform geschaffen werden, die dieses (digitalisierte) Material beinhaltet und die der Besucher durchstöbern kann. Soweit, so kreativ. Aber die Sache hat noch einen Haken: Die Künstler lehnen jegliche Art von Kategorisierung entschieden ab.

„Wir versuchen uns krampfhaft von diesem binären System zu lösen“, sagt eine Dramaturgin und verzieht bei dem Wort „binär“ das Gesicht. „Diese Art der Ordnung ist zu starr, zu künstlich. Die Welt ist doch aber offen, alles ist irgendwie miteinander verknüpft. Man hangelt sich von einem Thema zum anderen und schafft sich so seinen eigenen Kosmos.“


Zweiter Akt: Chaos im Frontend, Ordnung im Backend


Da ist es, das Wort. Dies wird der Name unseres Produkts sein: Kampnagel-kosmos.
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Man erzählt uns, dass Kampnagel in der Vergangenheit bereits schon einmal kurz vor der Übergabe des Auftrags an eine Agentur stand: Damals stellte man das Projekt jedoch ein, da nicht den Eindruck bestand, dass Kampnagels Vorstellung vom Chaos-Kosmos verstanden worden war.


Verstanden zu werden ist das Hauptbedürfnis unseres Stakeholders. Dem kommen wir gerne und konsequent nach, selbst wenn dies bedeutet, dass wir unsere eigene betriebswirtschaftliche Comfort Zone verlassen müssen: Unsere Arbeitsweise gestalten wir explorativer als sonst und die Präsentation bekommt einen leidenschaftlichen, griffigen Ton.
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„Immer in Endprodukten denken!“, lautet die Devise

des Teams. Daher wird parallel zur Arbeit am Website-Konzept das Handbuch geschrieben; ein zusätzlicher Service, der den gewünschten Projektplan sowie sämtliche Informationen und Erkenntnisse über den kosmos beinhaltet. Dank gutem Zeitmanagement können wir sogar innehalten und reflektieren: Sind wir noch auf dem richtigen Weg?

Hat die gesamte Unternehmung Hand und Fuß?


Die Darbietung vor dem jüngeren Jahrgang ist die Generalprobe, in der die verständliche Erläuterung unseres komplexen Projekts im Vordergrund steht. Niemand hantiert mehr mit Handkärtchen; der Text sitzt. Dadurch bleibt mehr Zeit zur Optimierung der Action-Titel („Nur Einzeiler!“) und die ausgiebige Diskussion, ob der Genitiv von kosmos nun mit oder ohne Apostroph geschrieben wird.


Letzter Akt: Rapid Pivoting


Das Feedback aus dem internen Probedurchlauf fördert noch einmal wichtige Erkenntnisse zu Tage. Eine Woche vor der Endpräsentation bekommen wir Input von einem weiteren Experten: Daniel Schäfer ist Spezialist für ungewöhnliche Web-Visualisierungen. Sein Urteil: Ein Projekt dieser Art und Größenordnung braucht unbedingt eine mehrwöchige Building-und-Testing-Phase, bevor es umgesetzt werden kann. Wir sind also an einem Punkt angelangt, wo mit tatsächlichen Produkten weitergearbeitet werden muss. Grafiker und Programmierer konzeptionieren ein basales, funktionsfähiges Konstrukt, das in A/B-Tests erprobt und optimiert wird: das nennt sich Rapid Prototyping. Wir nehmen diesen Fakt in unsere Empfehlungen auf und bauen die Präsentationsreihenfolge um.



Nach der Endpräsentation am 17. Dezember herrscht motivierte Hochstimmung. Als wir das Projekt an seine Auftraggeber übergeben, ist da neben all dem Stolz und der Freude auch ein kleiner Funken Wehmut: Der kosmos ist so, wie er in diesem Augenblick besteht, unser ganz eigenes Gedankenkonstrukt. Wie mag es jetzt wohl weitergehen? Ein Termin bei Kampnagel im Januar ist angesetzt. Dann werden wir das kosmos-Konzept noch einmal allen Dramaturgen erklären.

Ein Wiedersehen ist damit schon mal sicher.
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"Good Performance!"

Epilog: Zitate der Projektteilnehmer

„Nur Einzeiler als Actiontitel!“ (Anna)

„Wir sollten dazu eine Excel-Tabelle erstellen.“ (Dustin)

„Jetzt gehen wir erstmal eine rauchen.“ (Johannes)

„Was soll ich jetzt der Frau Meier schreiben??“ (Janna)

„Ich habe Hunger.“ (Betti)