HMS - BLOG

DIGITAL- UND MEDIENMANAGEMENT / FORSCHUNG

Die Folgen des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes (NetzDG). Neue Studie veröffentlicht.

von SABRINA MAASS am 21.03.2024

Die Ergebnisse eines ehrgeizigen Forschungsprojektes sind nun veröffentlicht! Wir untersuchten die Auswirkungen eines Gesetzes, das Hate Speech in sozialen Medien bekämpfen sollte.

Worum ging es denn nun eigentlich genau?

Im Frühling 2017 wurde der Entwurf für ein neues Gesetz bekannt, das Hate Speech in sozialen Medien bekämpfen sollte, indem es Betreiber eben solcher Plattformen dazu zwingt, innerhalb bestimmter Fristen gemeldete, illegale Inhalte zu löschen. In der Folge gab es aus zahlreichen Ecken des politischen und zivilgesellschaftlichen aber auch wirtschaftlichen Raums große Kritik. Es hagelte nur so Vorwürfe und Befürchtungen, dass das Gesetz zu einer Zensur führen und die Meinungsfreiheit beschränken würde. Darüber hinaus gab es Zweifel an der EU-Recht-Kompatibilität und weitere Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit. Schaute man allerdings genauer hin, stellte man schnell fest, dass das Gesetz eigentlich nicht so richtig viel ändern würde am rechtlichen Rahmen, denen Nutzer:innen und Plattformbetreiber bis dato ohnehin unterlagen. Das schien in der aufgeheizten Debatte aber nur am Rande relevant zu sein. Und so hatten Armin Rott, Jil Wortelker und ich die Idee, das ganze empirisch zu untersuchen. Quasi in Echtzeit auf Facebook. Kann ja nicht so schwer sein…dachten wir.


Was haben wir gemacht?


Die zwei großen Sorgen, die im Zusammenhang mit dem NetzDG oft geäußert wurden, lassen sich unter den Begriffen „Overblocking“ und „Chilling Effects“ zusammenfassen. Beim Overblocking geht es um die Sorge, dass Plattformbetreiber Inhalte übermäßig, fast exzessiv löschen würden, also auch solche Inhalte, die legal und erlaubt sind, wenn auch vielleicht etwas kontrovers. Bei Chilling Effects geht es vor allem darum, dass Menschen sich aus Reaktion auf das Gesetz selbst zensieren könnten.

Um zu überprüfen, was das Gesetz wirklich verändert, benötigt man Daten. Viele Daten. Sehr, sehr viele Daten. Die Herausforderungen technischer und methodischer Seite waren allerdings, wie so häufig in der Wissenschaft, irgendwie dann doch größer als ursprünglich gedacht. Aber der Ehrgeiz war geweckt und wir schafften es dann auch wirklich, sechs Monate lang Posts und Kommentare von 10 öffentlichen Facebook-Seiten herunterzuladen. Vom 1. September 2017 bis zum 28. Februar 2018 sammelten wir alle Posts und dazugehörigen Kommentare, die am selben Tag wie der Post geschrieben wurden, von sieben ausgewählten Nachrichtenmedienanbietern, zwei politischen Parteien und der Satire-Seite Postillon. Wir verfolgten jeden Kommentar sieben Tage lang, um zu schauen, was mit ihm passiert. Nach zahlreichen Monaten der Datenbereinigung und -validierung landeten wir schließlich bei über 7 Millionen analysierten Kommentaren von fast 34.000 Posts. Nun mussten wir „nur noch“ schauen, was sich in unserem Untersuchungszeitraum verändert hat.


Was sagen die Ergebnisse?


In unseren Daten lässt sich keine empirische Evidenz für ein Overblocking finden. Zwar wurden etwas mehr Kommentare in den ersten zwei Monaten, in denen das Gesetz voll in Kraft war, gelöscht, aber der Effekt ist minimal. Einen unverhältnismäßigen Anstieg an Löschungen konnten wir auf den von uns untersuchten Seiten nicht nachweisen.

Bleiben also noch die Chilling Effects. Die sind schon deutlich schwieriger zu messen. Zum einen könnten Menschen davon Abstand nehmen, überhaupt zu kommentieren, aus Angst, dass ihre Kommentare gelöscht werden, sie schlimmstenfalls sogar rechtlich belangt werden, oder auch aus Frust darüber, dass vermeintlich die Meinungsfreiheit beschränkt wird und sie einfach nicht mehr in sozialen Medien kommentieren wollen. Wir analysierten also, ob nach Einführung des NetzDGs weniger kommentiert wurde. Zwar gab es Anfang 2018 zwar wirklich etwas weniger Kommentare als noch Ende 2017, dies liegt aber eher an einem generellen Zeittrend, der sich in den letzten Jahren wohl fortgesetzt hat. Die Plattform verliert einfach etwas an Relevanz im Zeitverlauf.

Zum anderen könnten sich Nutzer:innen noch anders selber zensiert haben, nämlich indem sie nicht weniger, sondern anders kommentieren, also vor allen Dingen weniger negative, aggressive und oder beleidigende Sprache benutzen, um negative Konsequenzen zu vermeiden. [MS1] Bei über 7 Millionen Kommentaren kam eine händische Auswertung nicht in Betracht, deshalb griffen wir auf einen „klassischen“ Ansatz zurück: den Wörterbuch-Ansatz. Es gibt bereits etablierte Listen, anhand derer sich die Kommentare als positiv oder negativ einstufen lassen. Auch hier: Das NetzDG hat die Kommentarabschnitte zu keinem schöneren, positiveren Ort gemacht. Was außerdem schnell deutlich wurde: Schimpfwörter wurden schon immer schnell gelöscht. Wir haben extra, natürlich aus rein wissenschaftlichem Interesse, ein Schimpfwörterbuch verfasst, um zu schauen, ob nach der Einführung des Gesetzes mehr Kommentare gelöscht werden, die offensichtlich beleidigend sind. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass solche Kommentare schon immer schnell entfernt wurden. Hier gab es daher keine Veränderungen.

Wir nahmen natürlich zahlreiche Kontrollvariablen in unsere Analysen auf und berücksichtigten auch, was für Themen in Posts und den Medien allgemein aufgegriffen wurden. Unsere Ergebnisse sind robust, halten also auch verschiedenen Schätzmethoden stand.


Wie geht es weiter?


Die Untersuchung hat deutlich gemacht, dass das Gesetz nicht annähernd die Effekte hatte (oder haben konnte), die den öffentlichen Aufschrei rechtfertigen würden. Trotzdem ist es gut, dass es eine Debatte um das Thema Hass im Internet gab und der Thematik eine gebührende Aufmerksamkeit zuteilwurde.

Unsere Studie hat darüber hinaus aber vor allem eins gezeigt: Wir schwierig es ist, die Effekte eines Gesetzes wirklich zu messen. Zum einen sind die notwendigen Datenmengen wirklich beträchtlich und darüber hinaus ist der Datenzugang oft stark eingeschränkt. Erst wenn soziale Medien einen Zugang zu ihren Daten ermöglichen und politische Institutionen technisch und personell in der Lage sind, die Daten zu sammeln und auszuwerten, wird es überhaupt möglich sein, Gesetze und ihre Wirkung langfristig zu messen. Und dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine effektive und angemessene Plattformregulierung.


Wo kann die Studie in Gänze gelesen werden?


Hier: https://www.sciencedirect.com/...