Wie verwandelt man das Online-Angebot der ZEIT vom verlustreichsten zum ertragreichsten Geschäftsbereich? Was für Schwierigkeiten bringt das heutige digitale Umfeld mit sich? Welche Herausforderungen stellen sich in der heutigen Medienlandschaft, geprägt von News Avoidance, zunehmendem Populismus und dem Anspruch, Journalismus mit Haltung zu betreiben? Enrique Tarragona, Chief Product Officer Digital der ZEIT Verlagsgruppe, gewährt einen spannenden Einblick in all diese Thematiken im Gastgespräch an der Hamburg Media School.
DIGITAL- UND MEDIENMANAGEMENT / GASTGESPRÄCHE
Am Puls der ZEIT: Enrique Tarragona über die digitale Transformation im Journalismus
Gruppenbild mit Enrique Tarragona
Er beendete sein Studium mit einem Master of Arts im Bereich, Kommunikationswissenschaft, Marketing & Psychologie an der Universität Duisburg-Essen im Jahre 1999. Im neuen digitalen Zeitalter zog es ihn zunächst in den Bereich der Telekommunikation, wo er bei T-Online seine „erste Berührung mit dem Internet” erfuhr. Nach einem kurzen Aufenthalt bei Vodafone, wo er u.a. den Bereich Affiliate-Marketing aufbaute, verließ er schließlich die Telekommunikationsbranche. Mit dem Wunsch nach einer sinnstiftenden Arbeit und der Sehnsucht nach Wasser und kühlem Wetter zog es ihn 2008 nach Hamburg und zu ZEIT ONLINE. Dort fand er nicht nur das gewünschte Klima, sondern auch eine große Aufgabe: Das digitale Angebot der ZEIT hatte damals noch keinen großen Erfolg und auch keine klare Strategie. Dieser Herausforderung begegnete er zunächst als Leiter des neu gegründeten Produktmanagements, später als Mitglied der Geschäftsleitung und zuletzt als Geschäftsführer und CPO.
Tarragona erklärt im Gespräch, dass in der Ökonomie des Netzes Reichweite die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung darstellt. Dabei war für die ZEIT der Standard ihres Qualitätsjournalismus nie verhandelbar „Reichweite darf nicht um jeden Preis erzielt werden“. Zur Lösung setzte ZEIT ONLINE gerade auf diese Qualität und dessen Kommerzialisierung: Zunächst über die Werbevermarktung der Reichweite und ab dem Jahr 2017 mit der Einführung der Paywall Z+. Seit diesem Jahr firmiert auch das digitale Angebot unter dem Namen DIE ZEIT nach dem Motto: „Eine Marke. Eine Redaktion.“ Für Tarragona und die ZEIT hat die digitale Wende funktioniert: Dieses Jahr werden die Einnahmen aus dem Digital-Abonnement zum ersten Mal die des Print Abonnements übersteigen.
Heute arbeitet Tarragona intensiv mit seinem Team daran, mit neuen Angeboten neue Märkte und Zielgruppen zu erschließen. Dabei helfen die insgesamt über 20 Millionen individuellen Nutzer:innen der verschiedenen ZEIT Produkte. Durch neue Angebote aus den Bereichen Spiele, Kochen oder auch Podcasts erreicht man Menschen, die man zuvor nicht erreicht hat.
Dennoch bleibt Tarragona seiner sinnstiftenden Haltung treu und betont, dass er die ZEIT nicht als reine Tech-Produktfirma versteht: „Wir verkaufen Journalismus.“ Gerade darin sieht er jedoch eine Herausforderung, denn der publizistische Wunsch nach möglichst großer Verbreitung der eigenen Inhalte kann mit wirtschaftlichen Zielen durchaus in Konflikt geraten. „Während der Redakteur einfach von vielen Menschen gelesen oder gehört werden will, möchte ich, dass möglichst viele für den Inhalt auch bezahlen.” Angesichts zunehmender Polarisierung bleibt Tarragona optimistisch und sieht in der Reichweite der ZEIT auch die Möglichkeit, durch die Befähigung zum inhaltlichen Diskurs die Bildung von Meinungsbubbles zu verhindern: „Wir dürfen aber auch intern nicht aufhören zu streiten, weil wir sonst die Möglichkeit verspielen, auch Andersdenkende erreichen zu können”.
Zum Schluss bat Enrique Tarragona auch uns, diskursfreudig zu bleiben und versicherte, dass für Studierende der Hamburg Media School bei der ZEIT immer eine Tür offensteht. Die diversen Fragen der Studierenden beantwortete er interessiert und engagiert. Wir bedanken uns bei Enrique Tarragona herzlich für einen Besuch und das anregende Gespräch.
