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Wer macht den besten Wahlkampf, Stephan Kittelmann?

von KRISTINA KABA am 10.09.2021

Foto Kittelmann

Stephan Kittelmann war nach seinem Studium erst Redakteur und Chef vom Dienst bei „Anne Will“ und wechselte dann zum Talk-Format „Markus Lanz“, wo er die Posten Chef vom Dienst und die Leitung des Politik-Ressorts innehatte. Seit 2021 ist er Associate Director bei 365 Sherpas Corporate Affairs & Policy Advice. Wir haben den Politik- und Medien-Experten gefragt, wie er die aktuellen Kampagnen der Kanzlerkanditat*innen bewertet und wer aktuell den besten Job macht.

Wie beurteilst du den Wahlkampf und die unterschiedlichen Kommunikationsstrategien der Kanzlerkandidat*innen?

Die CDU wollte eigentlich Ruhe ausstrahlen, aber gleich zu Beginn der Kampagne ist dies durch die relativ harte Auseinandersetzung zwischen Söder und Laschet gescheitert. Die offizielle Kampagne versucht auch den Menschen zu vermitteln, dass Laschet für Stabilität steht. Ein zentrales Thema, das verfängt, vermisse ich bei der Union, aber es ist auch ein schmaler Grat, wenn man das Land 16 Jahre lang regiert hat. Wenn man zu viel Veränderung ankündigt, wird immer wieder zurecht die Frage aufkommen, warum denn nicht bereits in den vergangenen Jahren nötige Veränderungen angestoßen hat. Der CDU und insbesondere Armin Laschet ist es aber nie wirklich gelungen Gelassenheit und Zuversicht in diesem Wahlkampf auszustrahlen. Irgendwas kam immer dazwischen: Ein ungeschicktes Lachen im Hintergrund, ein patziger TV-Auftritt, unglaubwürdige Treuebekundungen von Markus Söder oder die Debatte um Hans-Georg Maaßen.

Die Kampagne der Grünen hat kurz sehr gut funktioniert. Annalena Baerbocks Kandidatur wurde positiv aufgenommen. Die Äußerungen von Robert Habeck zu seinem Verzicht waren aus meiner Sicht an der Grenze zum Vertretbaren, aber haben Baerbock nicht geschadet. Die Grünen sind sehr geeint aufgetreten, bis es zu den Debatten über den Lebenslauf und Plagiate kam, lief das wirklich gut. Der mediale Umgang mit den Vorwürfen war dann allerdings verheerend. Der große Trumpf der Grünen müsste es eigentlich sein, stärker zu betonen, dass die aktuellen Probleme nicht durch die Grünen entstanden sind und man das Land durch neue Ideen voranbringen will. Aus meiner Sicht haben sich die grünen Strategen zu sehr auf das Thema Klimakrise gesetzt, was sicherlich extrem relevant ist, aber mittlerweile auch von allen anderen Parteien aufgegriffen wird und zu wenig betont, in welchen Bereichen sie außerdem für Wandel stehen.

Die SPD setzt vollkommen auf Olaf Scholz und die ganze Partei ordnet sich diesem Wahlkampf unter. Olaf Scholz betont nicht zufällig, sondern sehr offensiv seine Nähe und seine Ähnlichkeit mit Angela Merkel. Der SPD Kampagne gelingt es, zu vermitteln, dass sich mit Olaf Scholz etwas in Deutschland ändern wird, aber nicht so viel, dass man unruhige Nächte haben wird. Teilweise ist die SPD-Kampagne ein bisschen dreist oder zumindest sehr selbstbewusst, beispielsweise, wenn Olaf Scholz sich als „Kanzler für Klimaschutz“ plakatieren lässt. Der SPD gelingt es in ihrer Kommunikation sehr gut zu vermitteln, dass die Fehler der Regierung in den unionsgeführten Ministerien zu suchen sind und man selbst gute Arbeit liefert, die noch besser werden würde, wenn man ohne die Union eine Regierung bildet.

Welche Kampagne ist dein Favorit und warum?

Die Kampagne der SPD ist mein Favorit. Ich finde sie handwerklich gut gemacht und auch inhaltlich überzeugend. Man merkt einfach, dass sich Lars Klingbeil und sein Team die richtigen Gedanken gemacht haben. Die visuelle Gestaltung der Kampagne, die Themen und der Kandidat passen gut zusammen. Die SPD ist ruhig geblieben, als sie in den Umfragen zurücklag und hat immer auf ihren Kandidaten Olaf Scholz vertraut. Die Leute kennen ihn und schreiben ihm eine hohe Kompetenz zu. Die Parteiführung der SPD ordnet sich dem Wahlsieg von Olaf Scholz unter und ich glaube, dass gerade diese Geschlossenheit, die die SPD ausstrahlt sie gerade für viele ehemalige Merkel-Wähler*innen attraktiv macht, die wissen bei Scholz, was sie bekommen und zwar Stabilität. Die SPD hat von Beginn an auf diese Wähler*innen gesetzt, das scheint sich auszuzahlen.

Zu Annalena Baerbock gibt es laut NGO Avaaz die meisten Falschinformationen (71%), dahinter folgen Laschet (29%) und ganz weit hinten als Schlusslicht Scholz (0%) – was denkst Du, ist der Grund dafür?

Die Grünen haben früh kritisiert, dass es eine Desinformationskampagne gegen sie geben würde und blickten hier u.a. nach Russland und tatsächlich haben einige der Narrative ihren Ursprung beim deutschen Ableger von Russia Today. Auch das Innenministerium hat intern vor solchen Kampagnen gewarnt. Der Grund für die Desinformation könnte in der starken Kritik der Grünen an der Politik Russlands liegen. Außerdem ist die Klientel der AfD bei Facebook extrem stark vertreten, das deren Zielgruppen Falschmeldungen über die Grünen weiterverbreiten und befeuern ist sehr gut vorstellbar.

Laut der Untersuchung durch Avaaz werden die Falschinformationen überwiegend von TV (22%) und Mainstream-Medien (18%) verbreitet. Erst dahinter kommen die sozialen Netzwerke, wie Facebook (17%). Wie bewertest du dieses Ergebnis?

Das Problem wird allerdings noch ernster, wenn klassische Medien, die Meldungen aufnehmen, um daraus zum Beispiel Clickbait-Überschriften zu gestalten. Es hilft der Desinformationskampagne schon, wenn darüber berichtet wird, dass es diese Gerüchte gibt. Es wird dadurch ein Zweifel gesät, der absolut unbegründet ist und in vielen Fällen lesen die Menschen auch nur die Überschrift. Daher wäre es sehr ratsam, wenn klassische Medien sich hier kritisch überprüfen und dem Reflex widerstehen, diesen größtenteils absurden Geschichten Beachtung zu schenken.

Wie unterscheidet sich der diesjährige Wahlkampf von dem vor vier Jahren? Welche Rolle spielen die sozialen Medien in diesem Jahr bei der Bundestagswahl?

Der größte Unterschied ist natürlich, dass die Amtsinhaberin nicht mehr antritt. Es ist dadurch eine offenere Ausgangslage. Der Wahlkampf war 2017 noch stark von der Flüchtlingskrise geprägt, die Deutschland stark polarisiert hat. In diesem Jahr sehe ich kein so stark polarisierendes Thema. Die Rolle der sozialen Medien nimmt zu, aber für die Kampagnen sind die klassischen Medien noch entscheidender. Die Reichweite von einem TV-Triell wird auf Twitter und Facebook nicht erreicht. Für die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft ist die Wirkung allerdings nicht zu unterschätzen.

Als ehemaliger Politik-Chef bei Markus Lanz hast du alle Kandidat*innen schon live im Gespräch erlebt – wen findest du als Interviewpartner*in aktuell am überzeugendsten?

Ich finde, dass Olaf Scholz in Interviews derzeit die beste Figur abgibt. Er argumentiert ruhig und überlegt. Es gibt sicherlich emotionalere Interviewpartner*innen, aber Olaf Scholz nutzt diese Ruhe als Stärke. Er wirkt sehr besonnen. Auch kritische Nachfragen beantwortet Scholz gelassen und lässt sich nur sehr selten aus dem Tritt bringen.

Annalena Baerbock hat als einzige Kanzlerkandidatin der BILD am Sonntag kein Interview gegeben – die BamS veröffentlichte daraufhin eine leere Seite. Fehltritt oder Kalkül des PR-Teams? Wie ordnest du diesen Schritt ein?

Annalena Baerbock und ihr Team scheinen die Interviewanfrage der BamS nicht wichtig genug gefunden zu haben, um hier zuzusagen. Wahrscheinlich erwarten die Grünen wenig potenzielle Wähler*innen unter den BamS-Leser*innen zu erreichen. Vielleicht befürchteten sie sogar einen Imageverlust unter ihren Anhänger*innen durch eine Teilnahme. Deswegen hat man ihr mit der Veröffentlichung der leeren Seite einen Gefallen getan. Ich glaube aber nicht, dass das Team um Baerbock mit diesem Schritt gerechnet hat.