Drehbuchalumni Christina Reuter berichtet aus Peking
Drehbuchalumni Christina Reuter berichtet aus Peking
Vom 7. bis 14.11.2025 fand in Peking das International Student Film and Video Festival (ISFVF) statt. Der 20 Minüter „Zeitlos“ der HMS Absolvent:innen Nadiia Khatymlianska (Director), Christina Reuter (Script), Jan Fecke (DOP) und Anton Finkeldei (Creative Producer) war Teil des Festivalprogramms. Der Film erzählt von Lia, die stets eine vorbildliche Arbeiterin war, bis ihr Leben durch einen Zeitnotfall aus den Fugen gerät. Ins Home Office strafversetzt lernt sie ihre rebellische Nachbarin Paula kennen, die ihr das Tor zu einer neuen Welt zeigt und Lia muss sich entscheiden: Wagt sie den Aufbruch ins Chaos oder versucht sie, die Ordnung wiederherzustellen?
Die Drehbuchautorin Christina Reuter war vor Ort und berichtet:
“Als ich „Zeitlos“ schrieb, hatte ich nie China vor Augen und doch ist es, als hätte ich eine Reise in unseren Film angetreten. Das Leben hier ist beige. Plattenbauten säumen den an einigen Tagen vom Smog diesigen Himmel und der Campus, auf dem ich untergebracht bin, strahlt mit seinen 80er Jahre Betonbauten mit den kleinen Fenstern den Charme Duisburgs aus.
Aber was mich vor allem an „Zeitlos“ erinnert, ist die Autorität, die hier stetig spürbar, aber nie so richtig sichtbar ist. Die Regeln, was man sagen und tun darf, sind strikt und bleiben doch unausgesprochen. Die Überwachung ist lückenlos, überall sind Kameras und Sicherheitsleute. Ein Fingerabdruck öffnet das Tor zur U-Bahn, ein Scan des Gesichts ist im Supermarkt als Zahlungsmittel gültig, da die biometrischen Daten mit dem Konto verknüpft sind. Ich frage die Studierenden der Filmacademy Beijing, die das Festival ausrichtet, was das mit ihrer Kreativität macht. Sie antworten mir, dass es ihre Gedanken nicht einschränkt, aber dass Filme, die nicht konform genug sind, nicht gezeigt werden dürfen oder dass dem Projekt schon in der Preproduction ohne Angabe von Gründen die Finanzierung entzogen wird.
Außerdem wird es nicht gerne gesehen, wenn sie sich in Gruppen organisieren: Als sich während des Covid Lockdowns Studierende auf dem Campus zusammenschlossen, um sich über die Zustände zu beschweren, führte dies zu Einzelverhören durch die Lehrkräfte, um genau zu ermitteln, wer welche Informationen nach draußen gegeben, wer die Initiative gestartet und wer welche Rolle in der Gruppe hatte.
Christina schneidet beim 48 Std-KI-Workshop einen Anime-Film
„Diese doch recht dystopischen Rahmenbedingungen einmal zur Seite geschoben, hatte ich auf dem Festival aber dennoch eine fantastische Zeit. Es war sehr bereichernd und inspirierend, mit den Pekinger Studierenden ins Gespräch zu kommen und von ihren Lebensumständen, Ideen und Überzeugungen zu erfahren.
Auch der Austausch mit den anderen Festivalteilnehmer:innen aus der ganzen Welt war sehr interessant und gemeinsam erkundeten wir die regionale Küche und machten die örtliche Karaokebar unsicher. Ich nahm an einem zweitägigen Workshop zu KI generierten Filmen teil und erarbeitete in dieser Zeit einen kurzen Zeichentrickfilm. Es war sehr beeindruckend (und auch ein wenig unheimlich) zu sehen, zu was die Technik in den Händen der deutlich versierteren Studierenden bereits in der Lage ist. In den Lücken des Festivalprogramms blieb auch immer ein wenig Zeit für Sightseeing, und ich erfreute mich unter anderem an einer atemberaubenden Akrobatikshow und der detailverliebten Architektur des Sommerpalastes.
Darüber hinaus verstrickte ich mich in das ein oder andere Abenteuer, strandete in einem Hutong (so heißen die noch nicht gentrifizierten Viertel, in denen viele ältere Menschen leben) da meine Bezahlapp, ohne die wirklich gar nichts läuft, den Geist aufgab und musste meine Pantomime Fähigkeiten, die ich glücklicherweise in jahrelangem Training bei diversen Charadepartien perfektioniert hatte, einsetzen um den Weg zur nächsten Bank zu erfragen.
Ich wurde bei einem morgendlichen Spaziergang im Park Teil einer Seniorenaerobicgruppe und probierte allerhand überraschende Speisen, da ich einfach irgendwo auf die Karte gezeigt hatte, deren Schriftzeichen für mich ein einziges Rätsel darstellten."
Christina am Eingang vom Haidan Campus
„Was von der Reise bleibt, sind viele Eindrücke eines anderen Lebens und eine große Dankbarkeit für die Verhältnisse des Eigenen. Am wenigsten fremd gefühlt habe ich mich, wenn ich mit den anderen dort über Filme gesprochen habe. Dann ging es nicht um unsere Unterschiede, sondern die Sprache der Emotion im bewegten Bild, die keine Ländergrenzen kennt. Dann sind wir uns nicht als Chinesen und Deutsche begegnet, sondern als Filmemacher:innen.”