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5 Learnings mit… taz-Chefreporter Peter Unfried

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Erst ein Experten-Gespräch, dann ein Drink & Talk: Studierende und Alumni des Masterstudiengangs „Digitaler Journalismus“ der Hamburg Media School trafen sich am Donnerstagabend zum ersten DJ-Sundowner. In einem spannenden Interview, geführt von Thilo Knott dem neuen Leiter Innovation und Studium, analysierte Peter Unfried, taz-Chefreporter und Chefredakteur des taz-Magazins FuturZwei den aufziehenden digitalen Wahlkampf zur Bundestagswahl – und die Frage, ob Journalist*innen Politiker*innen liken dürfen. In unserem neuen Format „5 Learnings mit…“ fassen wir seine wichtigsten Punkte zusammen:

1. Politiker*innen müssen auf neue Debatten extrem schnell reagieren. Sie betreiben häufig ein polarisierendes Branding, Inhalte rücken in den Hintergrund.


Die Präsenz in klassischen Medien – oder wie es Gerhard Schröder einmal sagte: „Bild, BamS und Glotze“ - reicht für Politiker*innen heute nicht mehr aus. Die Möglichkeit, eigene politische ernsthafte Inhalte über seine sozialen Netzwerke zu verbreiten, ist allerdings schwierig, da diese Inhalte weniger ins klassische Reiz-Reaktions-Schema passen und darum schlechter performen. Politiker*innen müssen eher reagieren und werden häufig überrascht, wenn Nebenthemen plötzlich aufgeblasen werden und eine eigene Dynamik und Relevanz bekommen. Oder wenn plötzlich Dinge im Raum stehen, für die sie nicht gerüstet sind. Nun braucht es Leute, die sich sehr schnell eine Gegenstrategie ausdenken, denn eine Stellungnahme kann nicht mehr gemütlich geplant werden, um am nächsten Tag per Pressemitteilung herausgegeben zu werden. Im Grunde müssen Politiker*innen eine konfrontative, unterhaltende, polarisierende Person darstellen, um greifbar und differenzierbar zu bleiben, sagt Peter Unfried.

2. Nebenthemen können leicht viel größer werden, als es die Realität eigentlich hergibt.


Ein gutes Beispiel ist das Wort „Scheiße“, das Annalena Baerbock nach ihrer 45-minütigen Rede im Anschluss an ihre Nominierung zur Kanzlerkandidatin gegenüber Robert Habeck entfuhr. Das Mikrofon war noch angeschaltet und sogleich wurde online heftig spekuliert. War das ein Vertrauensbeweis? Wäre so etwas bei Söder und Laschet auch denkbar? Ist es typisch Frau? Statt selbstsicher von der Bühne zu gehen, erst einmal Selbstkritik zu üben? Peter Unfried war bei diesem Ereignis im Raum und hat von der Äußerung nur über seinen Twitter-Account erfahren. Aus einer kleinen, eigentlich relativ unbedeutenden Sache, wurde ein großer Berichterstattungsgegenstand und in der Wahrnehmung entstehe eine Disbalance zwischen Wichtigem und Nebensachen, so Peter Unfried.

3. Journalist*innen sollten nicht auf jeden Trigger aufspringen.


Es gibt eine große Bereitschaft, auf Empörungszüge aufzuspringen und zum Beispiel haltlose Provokationen zu dementieren, das bringt aber Provokationen mehr Aufmerksamkeit als es sollte. Auch wenn das Interesse bestimmter Bubbles an einem Thema hoch ist, sollte der Nachrichtenwert erst einmal kritisch hinterfragt werden, denn im Zweifel verdient ein anderes Thema sogar mehr Aufmerksamkeit. Es ist also ein gewisses Fingerspitzengefühl nötig, sich nicht nur von schnellen Hypes treiben zu lassen, sondern kurz innezuhalten und abzuwägen, sagt Peter Unfried.

4. Journalismus kann auch konstruktive Entwicklungen aufgreifen und auf kluge Gedanken aus dem Publikum eingehen.


Auch wenn der Fokus der aktuellen Debatten in den sozialen Netzwerken etwa auf Twitter überwiegend auf den negativen Aspekten liegt, haben Medien immer die Möglichkeit, auch auf die konstruktiven Seiten zu schauen. Anstatt immer nur zu diskreditieren, könnten sie auf eine inhaltliche Auseinandersetzung bei dieser Bundestagswahl setzen. Das müsste die Aufgabe von Qualitätsmedien sein, sich nicht auch noch vom Newsflow treiben zu lassen. Der Wahlkampf wird also eher bestimmt sein von Dingen, die schlecht laufen. Denn das performt, nicht nur in den sozialen Medien. Eine Auseinandersetzung mit den Zukunftsthemen dieser Gesellschaft hätte für einen Teil der Medien einen echten Mehrwert.

Durch die sozialen Medien kann eine Demokratisierung der Politik entstehen. Themen werden nicht wie früher nur von einer bestimmten Gruppe öffentlich diskutiert – nennen wir es Raumschiff Berlin-Mitte. Die Gefahr dabei ist dabei, dass auch wieder neue Raumschiffe entstehen. Der aktuelle Wahlkampf ist nicht mal der dramatischste. Willi Brand zum Beispiel, der in Wahlkämpfen schon mal als „Vaterlandsverräter“ beschimpft wurde, hatte mit wesentlich mehr Verunglimpfung zu kämpfen. Aber es ist der erste digitale Wahlkampf mit so vielen unterschiedlichen, strategisch vorgehenden Interessengruppen. Die klugen Gedanken in den sozialen Medien können in die Berichterstattung natürlich mit einfließen, sagt Peter Unfried.

5. Wir sollten Distanz, Meinung und Vielfalt im Journalismus bewahren – und nicht Politiker*innen liken.


Peter Unfried liked selbst keine Posts von Politiker*innen, es sei denn, es handelt sich zum Beispiel um einen guten Witz, der nicht vom Wahlkampf oder dem Eigeninteresse getrieben ist. Was, wie er sagt, ohnehin selten vorkommt.