“Hallo und herzlich Willkommen zur ersten Open Master Class an der HMS.” – So leitet Prof. Dr. Armin Rott am 9. Februar 2024 den offenen Vortrag zum Thema Introversion ein. Die Open Master Class ist ein neues Format der Hamburg Media School, dazu werden Gäste eingeladen, um Vorträge zu spannenden Themen zu halten. Die Besonderheit dabei ist, dass nicht nur Studierende und Mitarbeitende der HMS anwesend sind, sondern auch andere Interessierte dazukommen können.
DIGITAL- UND MEDIENMANAGEMENT / GASTGESPRÄCHE
Open Master Class mit Britta Moser: Die Welt ist für die Lauten gemacht
Britta Moser ist Introvert Activist und führt uns mit einem spannenden Vortrag in das Thema ein. Sie hat selbst ihren MBA in Digital- und Medienmanagement an der HMS absolviert. Immerhin ist sie der Grund dafür, dass Armin Rott auch an diesem Tag eine seiner Erinnerungen zum Besten geben kann. Wir schreiben das Jahr 2007, Britta Moser und Armin Rott nehmen an einer Konferenz teil, bei der ein Unternehmen aus der Medienbranche seine Digitalstrategie vorstellt. Am Ende meldet Britta Moser sich zu Wort: „Hallo, mein Name ist Britta Moser und ich studiere Digital- und Medienmanagement an der Hamburg Media School. Was macht Sie so sicher, dass Sie Ihre starken Marken so einfach ins Digitale übertragen können?“ Damit hatte Armin Rott nicht gerechnet, denn Britta Moser war eine der stilleren Studentinnen. Dass sie sich traut, diese Frage zu stellen und mit ihrer Frage gleichzeitig den Nagel auf den Kopf trifft, bleibt haften.
Britta Moser bezeichnet sich selbst als introvertiert und sieht das als Stärke. Zu ihren Herzensthemen gehören Nachhaltigkeit, Feminismus und Demokratie. Momentan ist sie Senior Corporate Sustainability Managerin beim TÜV Rheinland.
30 bis 50 Prozent der Gesellschaft sind introvertiert, so wird’s vermutet. Extraversion und Introversion befinden sich auf einem Spektrum. Wer sich in der Mitte befindet, ist ambivertiert. Menschen, die introvertiert sind, sind aber nicht automatisch schüchtern. Britta Moser erläutert das an sich selbst. Sie bevorzugt das Schreiben und Zeichnen gegenüber dem direkten Aussprechen ihrer Gedanken. Dabei liegt ihr Fokus als introvertierte Person auf dem Beobachten, Zuhören und Verstehen wollen. Introversion geht demnach auch mit einer reichen und lebendigen Innenwelt einher, in die man sich zurückziehen kann, um die eigenen Gedanken einzuordnen. Außerdem besteht ein Zusammenhang zwischen Introversion und Hochsensibilität sowie einem erhöhten Empathie empfinden.
Im Vortrag geht es besonders darum, wie Menschen auf Reize aus der Außenwelt reagieren und woher sie ihre Energie beziehen. Man kann sagen, dass extravertierte Menschen ihre Energie, wie eine Solarzelle, von außen bekommen, während Introvertierte ihre Batterie durch Alleinsein wieder aufladen. Extravertierte tendieren eher dazu, direkt zur Tat zu schreiten und Ihre Gedanken mündlich zu teilen. Tatsächlich ist es so, dass die Gehirne von extravertierten und introvertierten Menschen unterschiedlich beschaffen sind, denn der Blutfluss nimmt unterschiedliche Bahnen und interagiert mit unterschiedlichen Teilen des Nervensystems. Viele Introvertierte verspüren einen hohen Leidensdruck und versuchen sich an das „Idealbild“ einer extrovertierten Person anzupassen. Dies zeigt sich besonders im Arbeitsalltag: Hier ist es leider häufig so, dass es Extravertierten in Meetings oder Entscheidungssituationen leichter fällt, sich Gehör zu verschaffen.
Doch wie kann man Introvertierten dabei helfen, sich in der Arbeitswelt wohlzufühlen? Zunächst ist ein transparenter und offener Umgang mit den unterschiedlichen Voraussetzungen wichtig. Wenn Menschen äußern, dass sie gerade Ruhe brauchen, oder Raum zur Reflektion, sollte darauf eingegangen werden. Dabei ist es auch egal, ob eine Person introvertiert ist oder nicht.
Bei wichtigen Terminen, Entscheidungen oder in Recruiting-Prozessen kann es zudem hilfreich sein, eine gute Vor- und Nachbereitung zu ermöglichen. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass man die Agenda für einen Termin vor Beginn versendet oder im Nachgang noch Ideen und Veränderungen zulässt und Raum zur gemeinsamen Arbeit gibt.
Introvertierte haben einige Qualitäten, die ihnen im Arbeitsleben allgemein und im Besonderen in Führungspositionen hilfreich sein können. Dazu gehören eine vertiefte analytische und systemische Denkweise und eine ausgeprägte Langfristorientierung. Das gesellschaftliche Bild, das wir von Führungspersonen haben, ist jedoch eher extravertiert. Dabei sei mindestens ein Drittel der Menschheit eher introvertiert. Wie kommt es dazu, dass die Extraversion höher geschätzt wird?
Moser sieht den Grund darin historisch begründet. Die Menschen zogen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt in Großstädte, arbeiteten im Rahmen der zunehmenden Industrialisierung in großen Fabriken oder Firmen und standen damit vor der Herausforderung, sich in einer anonymen und immer stärker auf Konkurrenz ausgerichteten Gesellschaft zu behaupten. Heute haben wir die Chance, neue Perspektiven zuzulassen, um Wege zu finden, die allen Menschen und neuen Ideen Raum geben.
Was passiert, wenn man diesen Raum nicht hat, hat Britta Moser selbst erlebt: Sie hat sich selbst in das Bild einer extravertierten Person gezwungen. Und das mit einigem Erfolg. Diese Assimilation war nur leider nicht besonders nachhaltig. Immer neue Motivation zu finden ist stressig und erschöpfend. Damit begibt man sich in eine Spirale der Unzufriedenheit. Moser selbst benannte als ein abschließendes Gefühl, dass zu ihrem Umdenken führte: Selbstentkopplung.
Wieder einmal zeigt sich also, dass wir als Menschheit zwei Möglichkeiten haben, mit unseren verschiedenen Eigenschaften umzugehen: Entweder wir versuchen uns anzupassen, oder wir begreifen unsere Unterschiede als Stärke.
Wir freuen uns, dass Britta Moser zu Besuch war, und nehmen Einiges aus dem Gespräch mit. Dazu gehört, dass Introvertierte nicht zwingend schüchtern sind und durchaus gute Führungskräfte sein können. Aber vor allem eines: Menschen sind verschieden und das ist gut so.