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Fünf Fragen an... Mina Saidze

Mina

Mina Saidze ist die Gründerin von Inclusive Tech, europaweit die erste Lobby-und Beratungsorganisation mehr Diversity in Tech mit Standorten u.a. in Berlin, London und Istanbul. Darüber hinaus berät sie den Vorstand von Axel Springer zu Themen rund um Strategie, Innovation und Kultur als Jugendbeiratsmitglied. Die studierte Volkswirtin ist als erster Data Evangelist beim Axel Springer-Portfoliounternehmen idealo berufen worden und hat zuvor im Bereich Data Analytics für DIE WELT, FUNKE Mediengruppe und das Tech-Start-up crealytics gearbeitet. Auch ist sie SPIEGEL Fellowship-Mentorin für Algorithmenethik und wurde von der Bertelsmann-Stiftung als Algorithmenexpertin im deutschsprachigen Raum anerkannt. Zudem hat sie journalistische Erfahrung bei der taz, der Deutschen Welle und Radio Bremen gesammelt. Ihre Gastbeiträge zu Tech & Diversität erscheinen in Publikationen wie t3n oder Business Punk.


Ist es ein Klischee, dass Daten-Analyst*innen gut in Mathe sein müssen und den ganzen Tag endlose Excel-Tabellen und Diagramme auswerten? Wie würdest du deinen Beruf beschreiben?

Um eins vorab klarzustellen: Leider handelt es sich häufig um einen Irrtum, dass Daten-Analyst*innen nur mit Zahlen und Excel-Tabellen herumhantieren. Tatsächlich arbeite ich so gut wie gar nicht mit Excel-Tabellen, da diese für große Datenmengen ungeeignet sind. Daher verwende ich Datenbanken, die in einer Cloud-Umgebung wie z.B. Amazon Web Service zur Verfügung gestellt werden. Auch sind die Zahlen übersichtlich, wenn vorab definiert ist, welche Metriken für das Geschäftsmodell, Tagesgeschäft oder die Produktentwicklung relevant sind.
Der Job erfordert eine Vielzahl von Talenten: Ich muss in der Lage sein, in einem Team arbeiten zu können. Auch muss ich technische, komplexe Zusammenhänge für eine nicht-technische Zielgruppe verständlich erklären können. Zudem ist es unerlässlich, auf dem aktuellen Entwicklungsstand von Technologien zu sein, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dazu gehört – neben der analytischen Kompetenz, einem mathematischen Grundverständnis und Tech-Know-how – Teamspirit, Kommunikationstalent und Lernbereitschaft. Und genau diese Vielseitigkeit fasziniert mich an meinem Beruf, da mir nie langweilig wird.

„Data is the new oil.“ Das Zitat des Mathematikers und Unternehmers Clive Humby ist bereits 15 Jahre alt, scheint aber aktueller denn je zu sein. Was können uns Daten heute alles sagen?
Daten sind universell und nicht geografisch gebunden. Mit ihnen lassen sich Probleme erkennen, Phänomene verstehen und Entwicklungen vorhersagen, auf deren Basis man Lösungen erarbeiten kann. Daten sind viel mehr als nur Zahlen und ich liebe es, wie vielfältig ich als Data Analyst arbeiten kann – ich bin Reinigungskraft, Logistikerin, Künstlerin und vieles mehr. Datensätze sind selten sauber. Das heißt, sie enthalten Datenfehler, die man korrigieren oder entfernen muss. Diese Bereinigung kostet viel Zeit, ist aber unwahrscheinlich wichtig für die Aussagekraft der Daten. Ich befördere diese Daten dann von A nach B beziehungsweise von einem Anwendungsprozess zum nächsten – das erfordert logistisches Geschick. Die Datenauswertung und ihre Interpretation ist wiederum ein sehr kreativer Prozess, es ist wie ein Gemälde zu erschaffen mit all den Datenmaterialien, die einem zur Verfügung stehen.

Mit European Women in Data hast du europaweit die erste Lobby-und Beratungsorganisation für Frauen in den neuen Datenberufen gegründet. Worum geht es?
Unser Ziel ist es, mehr Diversität in den neuen Datenberufen und in der Künstlichen Intelligenz (KI) als auch die Datendemokratisierung zu fördern. Die erste Person, die einen Algorithmus entwickelte, war die britische Mathematikerin Ada Lovelace, dennoch sind Frauen in diesem Bereich unterrepräsentiert. Nach einer Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2019 sind weniger als ein Drittel der Frauen in Berufen rund um Big Data tätig. Dies beunruhigt mich zutiefst, da es Konsequenzen mit sich bringt: Künstliche Intelligenz kann frauenfeindlich oder rassistisch sein, wenn der Algorithmus nicht diskriminierungsfrei trainiert wird. Aktuell werden Technologien von weitgehend männlich dominierten Teams entwickelt, sodass z.B. bei digitalen Assistenten geschlechtsspezifische Vorurteile widergespiegelt werden. Um Big Data und KI als Chance, die zur Gleichstellung der Geschlechter beiträgt, statt gesellschaftliche Dämonisierung zu begreifen, möchten wir mehr Frauen in den Berufsfeldern Advanced Analytics, Data Science und Machine Learning fördern. Hierfür organisieren wir Meetups, Symposien als auch Networking-Events, bieten Förderprogramme für Quereinsteigerinnen in Kooperation mit Unternehmen an und beraten Unternehmen und Institutionen im Bereich Diversity Management für Tech. Für eine gleichberechtigte Zukunft brauchen wir mehr Women in Data in Europa.

Was ist so problematisch daran, wenn nur wenige Frauen in Big-Data-Berufen arbeiten bzw. sich für die Themen Data und KI interessieren?
In der Tech-Branche ist Diversität ein wichtiger Bestandteil, um erfolgreich neue Geschäftsmodelle, Märkte und Produkte zu entwickeln. Es ist nicht nur ein Treiber für Innovation, sondern auch ein wirtschaftlicher Motor. Wenn wir ein Produkt oder Service für eine Vielzahl von Menschen entwickeln, müssen wir hierbei auch berücksichtigen, dass jede dieser Personen unterschiedlich damit interagiert. Wenn wir ein vielfältiges Team haben, können Diskussionen geführt werden, die unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen. So vermeidet man Voreingenommenheiten und Vorurteile und gleichzeitig launcht man einen besseren Service und verzeichnet damit mehr Erfolg.
Auch fördert die Teilhabe von Frauen am digitalen Arbeitsmarkt unsere Volkswirtschaft, da wir damit dem Fachkräftemangel in Big Data und KI entgegenwirken. Darüber hinaus kann Europa im internationalen Wettbewerb gegen Länder wie beispielsweise China, USA oder Israel gestärkt hervorgehen. Es ist ein Win-Win für den Arbeitsmarkt, Unternehmen und letztendlich unsere Volkswirtschaft.

Zuletzt noch ein Klischee: Journalist*innen haben mit Zahlen nichts am Hut. Warum sollten sie sich dennoch zunehmend mit Daten befassen? Braucht es dafür den bzw. die
Datenjournalist*in oder kann jede*r Geschichten mit Hilfe von Daten recherchieren?
Man muss nicht zwangsläufig Datenjournalist*in sein und kann dennoch Argumente mithilfe von Zahlen, Daten und Fakten in einem Meinungsartikel belegen oder mit Tools, die keinerlei Programmierung erfordern, Daten in einem Diagramm visualisieren und anschließend in einem Wirtschaftsartikel einbauen. Was wichtig ist, ist Neugierde und die Bereitschaft, sich mit dem Thema proaktiv auseinanderzusetzen. Daten sind ein integraler Bestandteil unseres Lebens und Alltags und die Digitalisierung erfordert das Prinzip des lebenslangen Lernens. Daher ist die methodische Kompetenz der Datenanalyse nicht nur für Daten-Analyst*innen relevant, sondern für (fast) jeden Beruf unserer heutigen Zeit - sei es im Journalismus, Marketing oder Finance. Die Datenanalyse ist eins der wichtigsten Skills im 21.Jahrhundert.