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DIGITALER JOURNALISMUS

„Konstruktiver Journalismus muss mit dem Publikum entstehen“

Alexandra Adrian

Zum dritten Mal fand der Constructive Journalism Day statt – mit anregenden Diskussionen, spannenden Experten-Insights und erstmalig digital und mit einem interaktiven Idea Sprint Tasting statt. Organisiert wurde die eintägige Fachveranstaltung von unserem berufsbegleitenden Masterstudiengang „Digitaler Journalismus" und NDR Info, unterstützt durch die Schöpflin-Stiftung.

Los ging es im ersten Teil der Veranstaltung via Videostream aus dem Rolf-Liebermann-Studio des NDR. Adrian Feuerbacher (Programmchef von NDR Info und Chefredakteur beim NDR Hörfunk) moderierte und diskutierte zunächst mit Prof. Dr. Alexandra Borchardt (Journalistin und Beraterin sowie journalistische Leiterin für das Digital Journalism Fellowship an der HMS) über konstruktiven Journalismus. Sie erläuterte die Relevanz des Themas anhand der US-Wahl: „Das Thema ist extrem wichtig; die Menschen wollen nicht nur wissen, wie die Wahl ausgegangen ist, sondern auch, wie es jetzt weitergeht, und wie diese polarisierte Gesellschaft in den USA wieder zusammenfindet.“ Adrian Feuerbacher nahm zudem das Feedback der NDR-Hörer*innen mit in die Diskussion auf, die beklagten, dass die Berichterstattung immer weniger mit ihrem Alltag zu tun habe und es nur noch um Krisen und Probleme in der Welt gehe. Der Wunsch nach Lösungen sei groß.

Bastian Berbner (Redakteur bei der Zeit und Autor von „180 GRAD: Geschichten gegen den Hass“) appellierte an die Verantwortung der Journalist*innen, keine unnötigen Ängste zu schüren, und konstruktiven Journalismus im Redaktionsalltag so selbstverständlich wie investigativen Journalismus einzusetzen. Nina Fasciaux (Solutions Journalism Network) benannte in ihrer Keynote den Hauptgrund, warum sich das Publikum von den Nachrichten abwende: die Negativität der Berichterstattung. Sie riet Medienschaffenden dazu, mehr mit dem Publikum zu interagieren, Probleme zu identifizieren, Lösungen vorzuschlagen und anschließend mit den Rezipient*innen zu diskutieren.

In der nachfolgenden Podiumsdiskussion kamen noch Ellen Heinrichs (Leiterin des Digital Programing bei der Deutschen Welle) und Johannes Meyer (Journalist u.a. für Das Erste, n-tv und RTL) dazu. Unter anderem ging es darum, wie schwierig es sei, die Macht der Gewohnheit zu durchbrechen, so auch für Journalist*innen. Strukturelle Gründe in Redaktionen führten ebenfalls dazu, dass es erst einmal einen Fokus auf negativen Geschichten gebe. Allerdings steige vor allem in digitalen Redaktionen, in denen Nutzungszahlen eine wichtige Rolle spielen, der Gebrauch von konstruktivem Journalismus, denn dieser fördere notwendige Diskussionen mit den Rezipient*innen. Das Publikum dürfe keineswegs unterschätzt werden, es möchte inspiriert werden. Gehe es in einem Artikel um Lösungen und Perspektiven, steige auch die Nutzungsdauer, Kommentare seien qualitativ hochwertiger und Nutzer*innen seien gewillter, für Journalismus zu zahlen.

Am Nachmittag fand der Constructive Idea Sprint statt. Etwa 25 Journalist*innen hatten sich angemeldet, um innerhalb kürzester Zeit neue Produkte oder Konzepte zum konstruktiven Journalismus zu entwickeln. Bei so einem Idea Sprint wird nutzerorientiertes Denken in den Vordergrund gestellt, und Innovationen können schnell vorangetrieben werden, da am Ende Ergebnisse gepitched werden müssen.

Als Hilfestellung wurden im Vorhinein schon zwei unterschiedliche Buyer Persona (also Nutzer*innen) entwickelt, um eine klare Zielgruppe zu haben. Außerdem standen vier Challenges zur Auswahl. Challenge #1 „Local Heroes“ drehte sich um die Entwicklung konstruktiver Formate und Produkte für den Lokaljournalismus, während in Challenge #2 „Start where you are“ Workflows erdacht werden sollten, um konstruktiven Journalismus besser in den Redaktionsalltag zu integrieren. In Challenge #3 „Future ahead“ sollten sich die Teilnehmenden Gedanken machen, wie man Utopien und Zukunftsvisionen im Journalismus behandeln kann und in Challenge #4 „More than good News“, die Challenge zum konstruktiven Politikjournalismus, wie man Politik greifbar machen und lebensnah vermitteln kann. Die Gruppen sammelten und definierten ihre Ideen um die letzten 75 Minuten für die aktive Ausarbeitung zu nutzen (Prototyping).

Dann ging es zum Pitchen: Den Anfang machte die Gruppe um Coachin Eva Werner, die ein Format für konstruktiven Lokaljournalismus entwickelte. „Was nervt dich?“ war die Frage, um für das Publikum spannende Themen zu ermitteln, gegensätzliche Meinungen auch an einen Tisch zu holen und eine konstruktive Debatte zu fördern, bei der sich niemand übergangen fühlt und Meinungen und Informationen journalistisch eingeordnet werden.

Die Gruppe um Coachin Barbara Maas präsentierte ihr Ergebnis, konstruktiven Journalismus in den Redaktionsalltag zu integrieren als Schauspiel. Sie haben den Workflow in einer crossmedialen Redaktion gezeigt, die die Rubrik „Die tägliche Hürde“ eingeführt hat. In der Rubrik melden sich Menschen aus dem Publikum mit ihrem Problem zu Wort (in diesem Fall eine Video-Botschaft von Jürgen, 59, aus Bad Segeberg, der wegen Corona seinen alten Vater nicht mehr besucht), und die Redaktion bearbeitet das konstruktiv, spricht mit Experten, liefert Lösungen. Die Vorteile ihres Konzeptes waren so schnell offensichtlich: Durch Austausch von Wissen und Kontakten innerhalb der Redaktion, war es für einzelne Journalist*innen viel einfacher Expert*innen und Interviewpartner*innen zu finden, die Departments untereinander konnten sich sinnvoll ergänzen (Social Media), wodurch auch der Austausch mit dem Publikum nicht zu kurz kam und insgesamt viel besser gearbeitet werden konnte. Einige Teilnehmer*innen wollten diesen Ansatz begeistert mal in ihrer Redaktion ausprobieren.

Zur Challenge "More than good News" hat sich die Gruppe um Johannes Meyer ein interaktives Konzept mit wöchentlichem Podcast ausgedacht. Kern der Formate war auch hier vor allem die Einbindung des Publikums, um Austausch und Diskussion über Politik zu ermöglichen und sie greifbarer zu machen

Der nutzerbasierte Ansatz des Idea Sprint Tasting zeigte vor allem eins, konstruktiver Journalismus kann nicht an Nutzer*innen vorbei passieren. Ein Austausch auf allen Ebenen ist wichtig, um Themen und Theorien zu identifizieren, einzuordnen und mit weiteren Informationen zu versehen, die das Publikum wirklich interessieren und sie anschließend auch damit nicht allein lassen. Wie in den Keynotes am Morgen schon gehört ist genau das gerade immens wichtig, weil das Misstrauen in die Presse immer mehr wächst und den Boden für Angst und Verschwörungstheorien bereitet.