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MEDIA INNOVATION PROGRAM

DJF: Kolumne "Medien, Redaktionen und die Corona-Krise"

Alexandra Borchardt farbe

Die gute Nachricht zuerst: Die Corona-Pandemie zeigt, dass sich Menschen in Krisenzeiten wieder verstärkt dem Qualitätsjournalismus zuwenden. Redaktionen weltweit berichten von Rekordzugriffen auf ihre Angebote zum Thema, Newsletter werden in nie dagewesener Frequenz geöffnet, Podcasts abgerufen. In Deutschland hat der tägliche NDR-Info-Podcast mit dem Virologen Christian Drosten bereits Kult-Status. „Die Digital-Abos gehen bei uns durch die Decke“, heißt es aus der Chefetage eines regionalen Medienhauses. Selbst in Ländern wie Spanien und Portugal, wo Kunden sonst eher nicht für digitale Medienprodukte zahlen, binden sich die Bürger an die Marken ihres Vertrauens. Das ist ein willkommener Gewinn für eine krisengeschüttelte Branche, der ideell zunächst größer sein wird als finanziell: Die Strahlkraft des Journalismus wächst wieder.

Die PR-Agentur Edelman, die seit zwanzig Jahren jährlich die weltweit größte Umfrage zum Thema Vertrauen durchführt, hat in einer aktuellen Erhebung zu Covid-19 ermittelt, dass Menschen derzeit zweimal so häufig auf die Informationen traditioneller Medien zurückgreifen wie auf jene der Weltgesundheitsorganisation WHO oder jene der nationalen Gesundheitsämter. Sogar junge Nutzer vertrauen den etablierten Medien mehr als den sozialen Medien. Drei Viertel aller Befragten haben hingegen Sorge vor der Verbreitung von falschen Informationen über die sozialen Medien. Skepsis besteht sogar, wenn Freunde etwas geteilt haben. Richard Fletcher, Wissenschaftler am Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford, hat die wichtigsten Erkenntnisse der Umfrage für die Medien in diesem Twitter Thread
zusammengefasst.

Anzeigenmarkt bricht zusammen: Todesstoß oder Chance für eine Wende?


Dennoch drohen den Medienhäusern mindestens kurz- und mittelfristig starke Einbußen, denn das Anzeigengeschäft verfällt dramatisch – parallel zum Zustand der Weltwirtschaft. Die Branche bereitet sich weltweit auf einen nachhaltigen Abschwung vor. In Deutschland wurden 81 Prozent der Agenturen bereits Aufträge abgesagt, ergab eine Umfrage der FAZ. Es gibt kaum jemanden in der Medienbranche, der nicht von einem Desaster redet. Denn nicht nur lohnt es sich für viele Unternehmen der Konsumgüterindustrie oder Reisebranche derzeit nicht, Anzeigen zu schalten. Sie möchten ihre Werbung auch nicht neben Inhalten sehen, die sich mit der Corona-Krise befassen – also nicht in Umfeldern, die derzeit gefragt sind. Joshua Benton, der die Redaktion des Nieman Lab an der Harvard University leitet, zeichnet düstere Perspektiven für die amerikanische Medienbranche, vor allem für Lokalzeitungen. Viele von diesen sind im Besitz von Hedgefonds, die nicht lange fackeln, wenn keine Gewinne mehr fließen. Schon jetzt gibt es in den USA etliche „Nachrichtenwüsten“ ohne journalistische Versorgung.

Das alles lässt sich nicht schönreden, aber dennoch steckt darin eine Chance: Redaktionen können die Krise als interne Argumentationshilfe nutzen. Denn noch orientieren sich viele Redaktionen des Anzeigenverkaufs wegen an Reichweite. Clickbait und MeToo-Ware sind die Folge, also reißerische aber verwechselbare Inhalte, die das Publikum zwar gerne anschaut, für die es aber nicht bezahlen würde. Die Kurve zum Qualitätsjournalismus, der lukrative Abos generiert, gelingt eher mit exklusiven Stücken und Themen, die sich an den wirklichen Bedürfnissen des Publikums ausrichten. Und je mehr Abos, desto geringer die Abhängigkeit von Anzeigen.

Events weg – Einnahmen weg


Schwierig ist auch, dass viele Redaktionen angesichts ohnehin schon schwindender Anzeigenerlöse in den vergangenen Jahren das Veranstaltungsgeschäft als zusätzliches Standbein aufgebaut haben. Einerseits wollen sie damit Einnahmen generieren. Andererseits geht es den meisten vor allem darum, Vertrauen aufzubauen und die Leserbindung zu stärken. Mit dem kompletten Ausfall des Veranstaltungsgeschäfts gehen Einkünfte verloren. Der Totalausfall der Event-Branche macht etlichen zu schaffen. Wertvolle Begegnungen mit dem Publikum entfallen. Einige Verlage experimentieren deshalb bereits mit virtuellen Events. Die Ergebnisse sind gar nicht mal so schlecht. Eine süddeutsche Regionalzeitung, die eine Wahlveranstaltung ins Netz verlegt hatte, profitierte von etlichen Anmeldungen für Probe-Abos.

Sport und Kultur: eine Chance für den Journalismus


Besonders hart treffen die Branche die Ausfälle im Sport – in jeglicher Beziehung. Gibt es keine Spiele und Wettkämpfe mehr, verschwinden Werbeerlöse in gigantischem Umfang. Gleichzeitig sind Sportredaktionen massiv in ihrer Arbeit betroffen. „Was machen Sportjournalisten, wenn es keine Spiele mehr gebe, über die sie berichten können?“, fragt Hanaa Tameez in einem Stück für Nieman Lab. Tatsächlich eröffnet sich aber auch hier eine Chance. Denn der Sportjournalismus ist schon lange wegen seiner Eindimensionalität in der Kritik. Die meisten Sportredaktionen sind vor allem auf das enge Feld von Sieg und Niederlage sowie deren Vor- und Nachbearbeitung fixiert. Deutlich ausgebaut werden könnten investigative Recherche, Berichte über Breiten- und Individualsport sowie die Auswirkungen des Sports auf Gesundheit und Psyche in jeglicher Beziehung. Womöglich wird die Sportberichterstattung nach der Krise anders aussehen als zuvor. Für die Berichterstattung von Kulturereignissen, die ohnehin zu den kaum nachgefragten Online-Inhalten gehört, mag ähnliches gelten. Das traditionelle Feuilleton mit seinen Theater-, Opern- und Konzertkritiken könnte es so in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Gerade da bieten sich Möglichkeiten für interaktivere Formate.

Bezahlschranke oder nicht?


Eine Diskussion beschäftigt derzeit diejenigen Redaktionen, die digitale Bezahlangebote aufgesetzt haben – und das wurden in den vergangenen Monaten praktisch täglich mehr. Sollte man in der Krise sämtliche Corona-Inhalte freigeben, wie dies zum Beispiel große amerikanische Medien machen? Oder sollte man jene Stücke hinter Bezahlschranken stellen, die großen Aufwand erfordern aber für die Bürger eher Mehrwert als existenziell sind? Viele Redaktionen verfolgen gemischte Strategien. Tägliche Newsletter sind kostenlos, bestimmte Extra-Angebote hingegen kostenpflichtig. Andere senken die Abo-Preise vorübergehend drastisch und hoffen, die Leserinnen und Leser in der Krisenzeit so sehr an sich zu binden, dass sie der Marke treu bleiben, wenn alles wieder besser läuft. Ist der Medienkonsum erst einmal zur Gewohnheit geworden, mag ihn das Publikum womöglich nicht mehr missen.

Zu viel – oder gerade genug?


Redaktionen fragen sich außerdem: Wie viel Corona ist genug, was ist zu viel? Immer wieder ist von einem Überangebot an Nachrichten und Informationen die Rede, das die Aufmerksamkeit irgendwann sinken lässt. Andererseits könnte bei den Nutzern schnell Misstrauen entstehen, wenn nicht ausreichend berichtet wird. Will man womöglich etwas verschweigen? Beim britischen Guardian, der sehr früh eine ausführliche Corona-Berichterstattung inklusive Live-Blog startete, ist davon noch nichts zu merken. Millionen Leser greifen darauf zu, 90 Journalisten haben dort schon in verschiedensten Zusammenhängen über Covid-19 berichtet, dreimal am Tag gäbe es eine spezielle Corona-Konferenz, berichtet die Leser-Redakteurin Elisabeth Ribbans. Die amerikanische gemeinnützige Organisation Resolve Philly, die sich dem konstruktiven und Community Journalismus widmet, hat einen Leitfaden mit Tipps
entwickelt, wie Redaktionen über das Virus berichten können und wie sie die Berichterstattung strukturieren können, um Ermüdungserscheinungen beim Publikum zu vermeiden.

Erklär-Videos statt Endlosschleifen


Und was sollte man mit all den Inhalten machen, die beim besten Willen nichts mit Corona zu tun haben? Interessieren sich die Menschen dafür trotzdem noch? Teils, teils, heißt es aus den Redaktionen. Die öffentlich-rechtlichen Sender profilieren sich vor allem mit erklärenden Kinderprogrammen. Damit wollen sie die Jüngsten einerseits beschäftigen, damit die Eltern im Home-Office arbeiten können, andererseits aber auch einen Teil des Bildungsauftrags der Schulen übernehmen. So lächerlich hilflose Versuche wirken mögen, in denen Unternehmen probieren, Lernprodukte für die „Corona-Ferien“ zu promoten: Inhalte, die den Kopf beschäftigen und die Aufmerksamkeit von Endlos-Schleifen ablenken, die über Krankheits-Fallzahlen und Reaktionen auf Einschränkungen des öffentlichen Lebens berichten, dürften vielen helfen, wenn die Wochen ins Land gehen.

Zeit, endlich zusammenzuarbeiten


Viele Redaktionen entdecken dieser Tage, dass sie gemeinsam mit anderen stärker sind als alleine. Sie bilden Teams, die über Landstriche und Bundesstaaten reichen. Ehemalige Konkurrenten verbünden sich. Das passiert in den USA ebenso wie in Dortmund, wo sich die Ruhr-Nachrichten mit zwei lokalen Radiosendern und einem kleineren Konkurrenten zusammengeschlossen haben, um einen täglichen Corona-Podcast für die Region zu produzieren. Es geht um nichts als das: die Bevölkerung mit informativem, akkuratem, unabhängigem, reaktionsschnellem, tiefgründigem Journalismus zu versorgen - mit Qualitätsjournalismus eben.