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BUNTE KISTE

Zu viel Glaubwürdigkeit = Zu wenig Authentizität

Wie traditionelle Nachrichtenmedien das Publikum zu Facebook und Co. drängen

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Ein Gastbeitrag von Dr. Juliane A. Lischka

Gerade weil traditionelle Medien (CNN, MSNBC und Zeitungen) als glaubwürdiger als soziale Medien gesehen werden, gehen NutzerInnen auf Facebook, Twitter und lesen Blogs. Das zeigt eine Studie von Thomas J. Johnson und Barbara K. Kaye zum Einfluss von Glaubwürdigkeit auf die Nutzung von politischen Informationen traditioneller versus sozialer Medien (Johnson & Kaye, 2015). User wollen vor allem durch Blogs der wahrgenommenen Einseitigkeit traditioneller Nachrichten, die aus ihrer Sicht durch die unternehmerische Kontrolle der Medienorganisation entsteht, aus dem Weg gehen.


Das heisst, Nachrichtenmedien, die stark auf traditionelle journalistische Standards wie Objektivität und Glaubwürdigkeit setzen, verlieren Teile ihres Publikums an soziale Medien. Denn in sozialen Medien erhalten User die Gratifikationen, die sie bei traditionellen Medien vermissen: spezifische, aus ihrer Sicht unabhängige Informationen, durch die sie sich eine Meinung bilden können und Orte, wo sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können (Überblick zu Gratifikationen neuer Medien z. B. bei Sundar & Limperos, 2013). Traditionelle Nachrichtenmedien können diese Bedürfnisse nur bedingt erfüllen, da sie einerseits eben zu objektiv und damit paradoxerweise, aus Sicht der User, verzerrt berichten und andererseits weniger Interaktivität bieten als soziale Medien.


Das Publikum scheint in folgender Kausalkette zu reagieren: objektive, glaubwürdige Berichterstattung = zu wenig „echte“ Meinung à zu wenig Bedürfnisbefriedigung à Social Media Nutzung.


Diese Ergebnisse klingen paradox für ForscherInnen, RedakteurInnen und JournalistInnen, die sich auf journalistische Glaubwürdigkeit und Objektivität für die Zukunftsfähigkeit des Journalismus im digitalen Zeitalter verlassen. Trotzdem zeigt die Studie Schwächen traditioneller Nachrichtenmedien aus Sicht des Publikums, die ein Ansatzpunkt für Veränderungen sein können.


Obwohl Johnson und Kayes Untersuchung mit U.S.-amerikanischen Usern durchgeführt wurde, sehe ich Anknüpfungspunkte im deutschsprachigen Raum, da Vorwürfe gegenüber der Berichterstattung klassischer Nachrichtenmedien hier ganz ähnlich lauten (Stichwort Einheitsbrei). – Ich habe kürzlich gelesen, dass ein NPDler nur Facebook als neutrales (!) Nachrichtenmedium sieht. Offensichtlich befindet er sich da zufriedenstellend in seiner Echo Chamber. – Tatsächlich hält die traditionelle Berichterstattung schon längst nicht mehr die Füsse still, wenn es um politische Meinungen geht, sondern sie sei gar im „Kampfmodus“.


Zurück zur Forschung: Aus theoretischer Sicht kann eine Marke nicht zu viel Glaubwürdigkeit besitzen. Glaubwürdigkeit und Reputation einer Medienmarke sind wichtige Orientierungsgrössen für die Mediennutzung (Lobigs, 2015; McDowell, 2006, 2015) und werden deshalb als strategische Ressourcen für Wettbewerbsfähigkeit gehandelt. Jedoch sei die Glaubwürdigkeit traditioneller Medien laut Johnson und Kaye nicht hoch genug, um umfangreichere Bedürfnisbefriedigung durch die Nutzung sozialer Medien auszugleichen.


Ich leite aus den Ergebnissen ab, dass mangelnde Authentizität ein Problem für traditionelle Nachrichtenmedien darstellt. Blogs erscheinen authentischer, da sie interaktiv und persönlich sind und nicht gewinnorientiert arbeiten. – Letzteres ist für wenige Nachrichtenmedien erstrebenswert. Interaktivität und Persönlichkeit ließen sich aber für traditionelle Nachrichtenmedien ausbauen. Beides würde eine stärkere Autonomie für einzelne JournalistInnen innerhalb der Redaktion erfordern, was wiederum Implikationen für das Marken- und Reputationsmanagement des Mediums hat. Denn umgekehrt könnte zu viel Authentizität in zu wenig Glaubwürdigkeit umschlagen.


Dem Zusammenspiel von Authentizitätsgewinn und Glaubwürdigkeit könnten sich Abschlussarbeiten und weitere Forschung widmen.


Literaturverzeichnis


Johnson, T. J. & Kaye, B. K. (2015). Reasons to believe. Influence of credibility on motivations for using social networks. Computers in Human Behavior, 50, 544-555.

Lobigs, F. (2015). An economic theory of media brands. In G. Siegert, K. Förster, S. M. Chan-Olmsted & M. Ots (Eds.), Handbook of media branding (pp. 373-386). Berlin: Springer.

McDowell, W. S. (2006). Issues in marketing and branding. In A. B. Albarran, S. M. Chan-Olmsted & M. O. Wirth (Eds.), Handbook of media management and economics (pp. 229-250). Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum.

McDowell, W. S. (2015). Emerging industry issues and trends influencing the branding of media content. In G. Siegert, K. Förster, S. M. Chan-Olmsted & M. Ots (Hrsg.), Handbook of Media Branding (S. 145-156). Cham: Springer International Publishing.

Sundar, S. S. & Limperos, A. M. (2013). Uses and Grats 2.0: New gratifications for new media. Journal of Broadcasting & Electronic Media, 57 (4), 504-525.
Juliane Lischka gross

Dr. Juliane A. Lischka ist Post-doctoral Research and Teaching Assistant an der University of Zurich

Zur Autorin:

Dr. Juliane A. Lischka ist Post-Doc in der Abteilung Medienökonomie & Management am Institut für Publizistik und Medienforschung an der Universität Zürich. Sie studierte Medien- und Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Germanistische Sprachwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Advertising an der Michigan State University, USA, und war anschließend knapp vier Jahre in der Marktforschung tätig.

Sie wurde 2014 mit einer Arbeit zur Wirkung von Wirtschaftsberichterstattung an der Universität Zürich promoviert. Anschließend war sie Visiting Fellow am Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford, UK, sowie an der Cardiff School of Journalism, Media & Cultural Studies, University of Cardiff, UK.

Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. digitalen Journalismus und Soziale Netzwerke sowie Innovationsfähigkeit von Medienorganisationen im digitalen Zeitalter.

Einen Überblick über ihre Publikationen findet sich hier.

E-Mail: j.lischka(at)ipmz.uzh.ch Twitter: @julianelischka