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DJF: Kolumne - Was der Schlagabtausch zwischen dem Spiegel und Gabor Steingart lehrt

202009 Alexandra Borchardt 2

Für Brancheninsider*innen scheint es eine Art Fest zu sein, denn so manch einer hat mit der einen oder der anderen Seite noch eine Rechnung offen, der Rest der Welt hingegen mag davon kaum etwas mitbekommen: der Kleinkrieg zwischen Media Pioneer-Kapitän Gabor Steingart und seinem ehemaligen Heimathafen Der Spiegel. Hatten die Parteien ihre Scharmützel bislang eher in den sozialen Netzwerken und über ein paar Mediendienste ausgetragen, bewegten sie sich in der vergangenen Woche auf eine neue Eskalationsstufe. Der Spiegel hatte im typischen Duktus Steingarts Integrität und unternehmerisches Werk in Frage gestellt, Steingart mit einem Artikel „Märchenstunde mit dem Spiegel“ zurückgeschlagen. Von ungewöhnlich scharfer Tonlage spricht der Kressreport
in einem hastig aus Tweets von Dritten und Zitaten zusammengezimmerten Stück.

An dieser Stelle soll es aber weder um verletzte Gefühle noch die Überprüfung von Fakten in Sachen Media Pioneer gehen, sondern vielmehr um ein Problem des deutschen Journalismus: Sein (prominentes) Führungspersonal beschäftigt sich unglaublich gerne mit sich selbst. Das wäre unterhaltsam anzusehen, würde es nicht dem Journalismus als solchem schaden. Denn das Publikum, vor allem das jüngere, hat solche Ego-Schlachten satt. Und das ältere ist ihnen müde geworden.

In der alten Medienwelt war Polarisierung noch aufregend. Man suchte danach in den Zeitungen und Magazinen. Der Spiegel hatte Geschichten von gefallenen Helden schon immer im Repertoire, in den 1990ern kamen die Wirtschaftsmedien hinzu. Daumen hoch oder Daumen runter, Sieger oder Verlierer, Machtkämpfe allerorten – man personalisierte komplexe Themen und punktete damit beim Publikum. Damals klappte das gut. Heute wird man von Kommentaren und Urteilen angeschrien, sobald man sein Mobiltelefon öffnet. Die Welt hat sich weiterentwickelt. Viel Journalismus hingegen ist in den 1990ern stehengeblieben.

Am Beispiel Covid-19 oder der Klimakrise zeigt sich, dass die Gegenwart zu komplex ist für Geschichten in Schwarz oder Weiß. Statt von Held*in und gefallenen Held*innen ist sie bevölkert von einigermaßen Ratlosen, die sich im schnellen Wandel der Dinge vorantasten und dabei Orientierung suchen. Im Kern der digitalen Transformation stehen nicht Antworten, sondern die Erkenntnis, dass nur ewiges Fragen, Ausprobieren und Lernen weiterführt. Für ewig siegesgewisse und ebenso oft verletzte Egos ist deshalb immer weniger Platz.

Gerade das junge Publikum kann mit Journalismus nichts anfangen, dessen größter Verdienst es ist, andere in den Senkel zu stellen. Zu negativ, zu verletzend und unfair – und zu wenig hilfreich für das eigene Leben, urteilten sie in einer der wenigen Studien, die sich qualitativ mit dem Medienkonsum junger Menschen befassen. Aber auch ältere Semester wenden sich von Medien ab, wenn sie nur schlechte Laune verbreiten und beim Konsumenten ein Gefühl der Ohnmacht auslösen. Sie konsumieren solche Stücke zwar zum Zeitvertreib, zahlen aber eher nicht dafür. Entertainment gibt es schließlich überall umsonst.

Auch aus diesem Grund haben sich Institutionen wie das Constructive Institute oder das Solutions Journalism Network
gebildet. Beiden ist gemein, dass sie sich eher mit denen beschäftigen, die Lösungen suchen als mit denen, die sich über Lösungssucher*innen lustig machen. Man mag über Gabor Steingart als Mensch, über seinen journalistischen und Führungs-Stil denken, was man mag. Aber als Unternehmensgründer gehört er zu den Lösungssuchern. Der Journalismus braucht Entrepreneure, die neue Geschäftsmodelle ausprobieren, wo die Alten scheitern oder an ihre Grenzen stoßen. Davon profitieren letztlich alle Medienhäuser. Denn wenn die Bürger*innen Journalismus erst einmal für verzichtbar halten, ist keinem einzigen der alten Platzhirsche geholfen. Der Konkurrent sitzt heute nicht mehr im anderen Verlagsgebäude. Er greift an in Gestalt der schieren Anzahl von Angeboten, die um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen. Gerade in den kleineren Häusern wird dies oft besser verstanden. Wo weniger Glanz ist, geht es öfter ums Geschäft. Kund*innen wollen interessiert, begeistert und gebunden werden – es ist genug zu tun. Wo es an Zeit für Machtkämpfe mangelt, geht es oft erstaunlich konstruktiv voran.