HMS - BLOG

BUNTE KISTE

Eine Frage der Sichtbarkeit

von BETTINA SCHARY am 08.09.2015

Fortsetzung: Die Podiumsdiskussion der 2. WIFT-Lounge in Hamburg (hier geht's zu Teil 1)

Die Runde setzt sich zusammen aus Bettina Schöller (Produzentin, Regisseurin, Vorstandsmitglied Pro Quote Regie), Björn Vosgerau (Produzent Wüste Film), Dr. Lisa Blumenberg (Produzentin Letterbox...BLOCHIN), Esther Bialas (freie Regisseurin, ZDF-Serie „Komm schon“, HMS-Absolventin Film 2012), Prof. Richard Reitinger (Kommissarischer Geschäftsführer HMS, Studiengangsleiter Film), Ulrike Dotzer, (Leiterin Abteilung ARTE / NDR) und Kathrin Kohlstedde (Programmleiterin Filmfest Hamburg).
20150902 194706
Zunächst soll der Frage auf den Grund gegangen werden, wieso der Frauenanteil bei Auftragsvergaben (trotz einer Absolventinnenrate von 42 %) so niedrig ist.

Klar ist: Am Set herrscht ein sehr spezifisches Arbeitsklima. Hier geht es hart zu, oder, wie Prof. Reitinger feststellt: „Film ist zwar anarchisch, aber auch sehr, sehr militärisch.“ Drei Dinge zeichnen die Branche aus: Sie ist extrem wettkampfgeprägt, streng hierarchisch aufgebaut und geprägt von einer grundsätzlich konservativen Entscheidungskultur. Nur wenige Frauen fühlen sich in „herrschenden“ Berufen wohl. Zudem können sie am Set nicht dieselben Methoden anwenden wie Männer, die mit lauter Stimme und starker Körpersprache Dominanz, Willensstärke und Zielstrebigkeit ausstrahlen. Dies seien keine Eigenschaften, die man den Frauen zuschreibt: diese Auffassung sei tief im Geschlechterbild verwurzelt. Man stelle sich nur vor: Ein Mann, der am Set schreit, besitzt Autorität, im schlimmsten Fall wirkt er cholerisch. Eine Frau, die schreit, ist bestenfalls hysterisch.

„Ich will Filme machen und nicht als Frau wahrgenommen werden!“

„Ich verstehe einfach nicht“, sagt Dr. Blumenberg, „Warum die Diskussion immer auf die Unterschiede in den Geschlechtern zurückfällt. Es ist doch nur eine Beschreibungsweise des Mensch-Seins!“ Im Verlauf des Gesprächs wird sie diesen Standpunkt noch öfter wiederholen.
20150902 194719 300x168

Podiumsdiskussion der 2. WIFT-Lounge Hamburg

„Man muss aufpassen, dass man in der Gender-Diskussion bestimmte Rollenbilder nicht reproduziert – und zwar in beide Richtungen“, meint Björn Vosgerau beschwichtigend und erntet Applaus. Immerhin werde hier über Kunst geredet.

Kathrin Kohlstetter, die Filme für das Filmfest Hamburg sichtet und mit auswählt, nickt heftig: „Es ist absolut egal, wer den Film gemacht hat: Der Film muss gut sein!“

„Wenn Frauenquote, dann 50-50!“

So anarchisch und utopisch diese Forderung von Dozent Richard Reitinger im ersten Moment klingen mag: In Schweden ist dieses Modell im Bereich Förderung seit Anfang dieses Jahres bereits Pflicht. Und es funktioniert.

Einen weiteren Lösungsansatz liefert Spanien: Dort gebe es statt der Quote ein Punktesystem, mit dem das Defizit auf der Frauenseite aufgehoben werden soll.

Allerdings ist zu bedenken, dass sowohl in Schweden als auch in Spanien ganz andere kommissarische Strukturen herrschen als in Deutschland. Zumindest im Kinobereich wäre eine Frauenquote hierzulande einfach nicht machbar: Einerseits, weil es sich um ein Teamprojekt handele, andererseits aufgrund der vielen unterschiedlichen Finanzierungsbausteine.

„Wofür arbeiten wir eigentlich?“

„Wir sind ja Kreative“, sagt Björn Vosgerau. „Aber in der Branche geht es eben auch um Macht und Geld.“

Je weiter die Diskussion fortschreitet, desto mehr redet man sich in Rage. Es ist spürbar, dass viele Emotionen in diesem Thema stecken; im Publikum werden Köpfe geschüttelt, man flüstert aufgeregt miteinander.
11938767 1497975367162480 846745581 n

Publikum der 2. WIFT-Lounge Hamburg

Wo landen denn nun all die Absolventinnen der Filmhochschulen? Schließlich meldet sich eine Dame aus den hinteren Reihen. Sie sieht nicht aus wie eine hysterische Kreischerin. „Bei der Auftragsvergabe geht es doch um Kompetenzen“, sagt sie laut und deutlich. „Weil auf dem Arbeitsmarkt mehr Männer sind, die ihre Kompetenzen häufiger beweisen können, werden die Frauen eben oft übersehen. Frauen kommen in männlichen Hierarchien gar nicht vor – sie werden nicht etwa ignoriert oder übergangen: Sie sind einfach unsichtbar!“

Deswegen, und weil es zumindest einen in einer funktionierenden Familie (gemeint ist eine mit Kindern) geben muss, der „die Kohle ins Haus schafft“, entscheiden sich meistens die Frauen für einen sicheren Arbeitsplatz mit stabilem Einkommen. Und da sind sie dann alle: In Gewerken, die verlässlich Geld einbringen. Die aber eben keine Oskar-Nominierungen einfahren.

Ausgerechnet die Jüngste in der Runde, Regisseurin Esther Bialas, findet zum Schluss versöhnliche Worte: „Ich hatte das Glück auf einer Schule zu sein, die sich gut verkauft. Und die auch mich gut verkauft. Ich kann nicht feststellen, dass es in meiner Generation eine Diskussion über Geschlechter gibt.“

Es tut sich also was. Langsam zwar, aber eine jahrhundertelange (männliche) Prägung braucht eben Zeit, um sich zu ändern.

Mehr Informationen über WIFT: www.wiftg.de